Die Dialektik des Wahnsinns – 2018

Kolumne

In Gesellschaftlichen Diskursen, kommt es häufig zu einem Homogenen WIR, Gott sei dank dann auch zum pluralistische Wir. Je pluraler desto Bunter. Ob Behindert, LGBT oder Wahnsinnig alle gehören dazu.

Wenn man „du Wahnsinniger“ sagt, hat das eine andere Bedeutung als „das ist ja Wahnsinn“. Man sieht Wahnsinn hat zwei Bedeutungen eine positive Variante und eine negative und damit wird der Begriff dialektisch.

Sind wir gerade unter kontrolliert, macht Wahnsinn Spaß, wenn Helene Fischer das deutsche Schlager LSD singt; sind wir über kontrolliert haben wir Angst vor dem Wahnsinn, weil er uns Befremdlich vorkommt. Damit will ich sagen das unsere Bewertung, wann der Wahnsinn positiv und wann er negativ ist von unserem jeweiligen Standpunkt abhängig ist.

Am Beispiel von Othello ergeben sich mehrere Standpunkte, 1. Othello, der vor Eifersucht Wahnsinnig war, 2.  Der Antagonist, der Othello durch Redekunst Wahnsinnig machte. 3. der Beobachter, der die Szene beobachtet, 4. der Beobachter des Beobachters, der sieht, zieht es den Zuschauer in den negativen Wahnsinn oder in den guten Wahnsinn.

An deutschen Bühnen gibt es endlos Wahnsinn, ein Werther der dem Wahnsinn der Liebe verfällt, ein Lenz, ein Woyzeck der dem Wahnsinn des Suffs verfällt, ein Richard der Dritte, ein Don Quijote, ein Physiker von Dürrenmatt. Wie kann man sich den Bitte all den Wahnsinn ausdenken, muss man, wenn man ein Stück schreibt nicht auch irgendwie wahnsinnig, ja schizophren sein.

Der Autor muss die Standpunkte, 1., 2., 3. und 4., im Auge haben und wenn er dann in der Zeitung eine Rezension über sein Stück lesen würde und daraus wieder ein neues Stück daraus entsteht, ist die Schleife geschlossen und der Autor  Ödipus müsste sich seinen Produktivitätswahnsinn selber beweisen, aber Ödipus hat zwei Seiten seinen eigenen Wahnsinn und den seiner Umwelt und er sieht beide, wenn er nicht verblendet ist.

Formen von Schein, Täuschung, Lügen und Beziehungen hinter dem Rücken, können als Wahnsinn gedeutet werden. Wenn er seine Wirklichkeit nicht überprüfen könnte. Wahnsinn hat also auch eine naive Variante wie sie im Krabat, bei Harry Potter, der kleinen Hexe oder beim Zauber Lehrling vorkommt. Die richtige Einstellung, kann diese Formen verhindern.

Der Wahnsinn der auf ungelösten Konflikten oder schlimmen Erlebnissen basiert, kickt den Wahnsinnigen in Selbsttäuschungen, die wie Halluzinationen oder Stimmen hören sich manifestieren können und der Wahnsinnige mehrmals bestraft wird. 1. im Konflikt oder Erlebnis, 2. in der Krankheit, 3. durch unser Stigma. Was ganz schön ungerecht und hart ist!

Im Traum z.B. sind wir alle Wahnsinnig, der Regisseur Akira Kurosawa, spricht auch davon, dass wir alle Genies im Traum sind. Weil alle Dimensionen und Konformitäten dann ausgehebelt wären. Soweit zum subjektiven Wahnsinn, der aber durch Hypnose z.B., also durch den Einfluss der Umwelt wieder die andere Seite, also den Wahnsinn der Umwelt offenbaren könnte. Wahnsinn ist also immer ein Phänomen des inneren und des Äußeren. Wie im realen beim Protagonisten und Antagonisten, wie am Beispiel von Othello beschrieben.

Die Philosophie Geschichte beschäftigt sich mit dieser Frage von Objekt und Subjekt, mit Körper und Geist, mit Erde und Kosmos usw.… diese Debatte wird noch weiter gehen. Das Spalten, ja fragmentieren und das Holistische, ja ganze zusammenführen. Ein Memory Spiel mit einem Paar zwischen innen und außen. Vielleicht auch ein Anima und Animus Spiel!

Befinden wir uns in einem scheinbar „unter Kontrollierten“ Beruf, wie Musik, Kunst, Literatur, Theater, Film oder Showbusiness usw.… bekommt der Wahnsinn einen positiven Touch. Bewegen wir uns in „über Kontrollieren“ Berufen wie meist, kommt uns der Wahnsinn eher befremdlich vor und wir fangen an zu stigmatisieren, vielleicht weil wir unseren eigenen unbewussten Wahnsinn im anderen sehen und ablehnen oder die Homogene In-Group verteidigen wollen. Deshalb macht Kunsttherapie Sinn, weil man gerade dort den Wahnsinn ausleben kann!

Michel Foucault, beschreibt die Geschichte des Wahnsinns in unseren Gesellschaften; früher wurden alle die nicht eine Norm erfüllten (Hexen, Transmenschen, Nutten, geistig Behinderte, Renitente…usw.) in eine Zelle gesteckt und erst durch die Aufklärung also das aufkommen der Vernunft wurde aus einem Norm verstoß, dann ein Krankheitsbild. Manchmal kommt es mir so vor, als ob die Menschen die damals auf der Seite der Patienten saßen die Rollen getauscht hätten, aber das nur neben bei. Die Vernunft ist also der entscheidende Punkt wann ein Mensch als Wahnsinnig definiert wird. Aber schlaue Menschen wie Alexander Kluge zum Beispiel sind sich sicher das in der Vernunft bestimmt keine Wahrheit oder ein höheres Gut zu suchen ist, die Vernunft ist nicht die Lösung. Sondern die Vereinigung mit dem Gegenüber, ergo, die Liebe, die recht unvernünftig agieren kann.

Das was hier als vernünftig erscheint, kann in anderen Kulturkreisen oder Systemen total unvernünftig sein. Man denke nur an die deutsche Geschichte. Ein Schamane der Riten betreibt um Geister der Natur auszutreiben wäre hier vielleicht wahnsinnig; ein Lebensmittelspekulant der zum Hunger in der dritten Welt beitragt in anderen Kulturkreisen wahnsinnig. Wieder sind wir beim Standpunkt; wie wir auf ein Phänomen blicken. Verrücken wir den Standpunkt, scheint alles einen Sinn zumachen. Empathie ist der Sache zuträglich.

In der Systemischen Theorie oder Therapie gibt es keinen Wahnsinn. Es gibt auch keine Patienten. Verstehen wir die Kommunikation und verschieben wir nur einmal den Standpunkt hin zu deren Wahrnehmung, ist die Lösung deren Absolutes Selbstvertrauen in ihrer Wahrnehmung zu sein, was der Standpunkt 4. wäre, was irritierend sein kann, aber sie dient der Identität des Bewusstseins Systems und wer wären wir, wenn wir das in Zweifel ziehen würden. Der Standpunkt 5. im ungewissen!

Die Antipsychiatrie Bewegung hat in den letzten Jahrzehnten viel erreicht, obwohl sie arg zersplittert ist. Die Grundmuster sind die der Herrschaftsfreien und Zwangs freien Behandlung. Die meisten Betroffenen wissen selbst, dass Sie vielleicht etwas unangepasst sind. Wie im Film „Einer Flog übers, Kucks Nest“ deutlich wird. Viele sind sich ihrer „sozialen Schwäche“ bewusst, weil sie vielleicht nicht die nötigen Ellenbogen haben, um sich gegen bestehende Verhältnisse durchzusetzen. Renitent werden viele erst durch die Zwangs Behandlung. Aber es gibt auch eine Menge an Menschen die freiwilligen Anstalten besuchen. Deshalb sind freie Therapeuten so wichtig, weil Sie die nötigen Skills, den betroffenen erst beibringen können. 

Mein Lieblings Beispiel für die Dialektik des Wahnsinns ist sicherlich der Blaumilch von Ephraim Kishon; ein Wahnsinniger haut mit einem Presslufthammer die Hauptstrasse auf und trifft auf den Wahnsinn der Bürokratie, und alle Fäden laufen zum Ende ins positive.

Wahnsinn kann unglaublich inspirierend sein; wenn wir offen dafür sind und tut Bunten Gesellschaften gut, weil er wie ein Narr auftaucht, ständig uns spiegelt und uns Erkenntnisse liefert, auf die wir ohne ihn nicht gekommen wären. Ein wenig Wahnsinn tut uns eben alle Gut!